Dem Osten zugewandt....
Vortrag von Herrn Prof. Dr. Müller
Architektonische Visionen
Herder-Bibliothek beschäftigte sich mit Caspar David Friedrich
Rö. Eigentlich stand dieser Termin schon für Februar im Veranstaltungskalender der Siegener Herder-Bibliothek. Doch die Grippewelle hielt den angekündigten Referenten Prof. Dr. Matthias Müller zum Thema „Caspar David Friedrichs architektonische Visionen“ in Mainz fest, sodass erst jetzt alle Kunstgeschichtsinteressierten im Atriumsaal der Siegerlandhalle die Gelegenheit erhielten, Näheres über mittelalterliche Backsteinkirchen und ihre Darstellung in der Landschaftsmalerei der Romantik zu erfahren.
Caspar David Friedrich – mit diesem Namen können auch heutzutage wenigstens immer noch viele Menschen dessen berühmtes Bild „Kreidefelsen auf Rügen“ von 1818 und ein Hauptwerk der Romantik verbinden. Doch nicht nur, dass den meisten darüber hinaus keine weiteren Bildtitel in Bezug auf Friedrich mehr einfallen: Auch nur den wenigsten dürfte bewusst sein, welchen Einfluss dieser Maler, Grafiker und Zeichner aus Greifswald, der alten Hansestadt in Mecklenburg-Vorpommern, bis in die Neuzeit auf andere Künstler genommen hat, wie beispielsweise mittels seiner „rahmenlosen“ Landschaftsmalereien. Ebenso verhält es sich vermutlich mit dessen phasenweiser Inspiration auf Preußens Baumeister Karl Friedrich Schinkel (ein Zeitgenosse Friedrichs und anfangs ebenfalls ein Anhänger neuer politischer Ideen), dessen Bauwerke noch heute das Stadtbild der Mitte Berlins prägen.
Wer weiß heutzutage noch, dass Caspar David Friedrich (C. D. Fr), Spross einer Seifensiederfamilie, ein glühender Anhänger der Bildung eines geeinten, fast schon demokratischen Deutschen Reiches unter protestantischem Vorzeichen als Reaktion sowohl auf die jahrelange Schreckensherrschaft Napoleons in weiten Teilen Europas als auch auf die Ständegesellschaft unter den zumeist katholischen Fürsten in den diversen deutschen Kleinstaaten war? Genau dieser Aspekt war es, mit dem der Mainzer Professor für Kunstgeschichte seinen Vortrag einleitete. Für Kenner christlicher Archäologie, byzantinischer Kunstgeschichte und Neuerer Deutschen Literatur gehört dieses Wissen unabdingbar zu den notwendigen Voraussetzungen zum Verständnis vom Leben und Wirken Caspar David Friedrichs.
Nur so seien dessen heutzutage schon geradezu chauvinistisch anmutenden vielen Briefe an eine seiner Schwestern zu verstehen, betonte Prof. Dr. Müller. Von daher kann seiner Meinung nach von C. D. Fr. durchaus als einen politischen Maler gesprochen werden, dessen Werke in die Zukunft weisen sollten. Weg von allem Französischen, weg von allem katholischen Prunk hin zu einer Malerei, die die Landschaftsmalerei mit der Religion verbinden sollte, so der Mainzer Professor mit den wissenschaftlichen Schwerpunkten Mittelalter und frühe Neuzeit.
Erst in diesem Zusammenhang erkläre sich sein Ansinnen hin zur Entwicklung neuer Proportionen bei anderen Motiven seiner Malerei, wie eben den vielen bei Friedrich anzutreffenden sehr hohen, steilen Kirchtürmen, erläuterte Müller weiter. Aufgrund dieses immer wiederkehrenden Motivs – neben seinen Landschaftsdarstellungen – des hohen, steilen Kirchturms könne Caspar David Friedrich mit Fug und Recht als der Erfinder der Neugotik bezeichnet werden, fügte der Referent an, der ab 1995 sechs Jahre als wissenschaftlicher Assistent am Greifswalder Caspar-David-Friedrich-Institut für Kunstwissenschaften an der Universität Greifswald tätig war.
Berühmte profane und sakrale Backstein-Bauwerke von Lübeck bis Riga zeichnen bis heute den Ostseeraum aus. Doch ursprünglich, so Müller weiter, habe der dortigen Region beispielsweise hinsichtlich sakraler Bauten lange Zeit die sogenannte Feldstein-Architektur vorgeherrscht – also wesentlich gedrungenere, rustikaler wirkende Gebäude, die über keine solide Verbundmöglichkeit zwischen den einzelnen Steinen verfügt hätten.
Mit der zunehmenden Besiedlung des südlichen Ostseeraums u. a. durch den Deutschen Orden sowie dem damit wirtschaftlich verbundenen Aufstieg der Hansestädte habe parallel dazu eine neue Entwicklung in der Architektur eingesetzt. Nicht zuletzt die mächtig gewordenen hanseatischen Kaufmannsleute hätten es schließlich den norditalienischen Patriziern gleichtun wollen, um ihren neu erworbenen Reichtum ebenfalls gebührend zu demonstrieren, erklärte Müller augenzwinkernd.
Das bevorzugte Material dieser neu entstandenen Elite war ab dem 13. Jahrhundert der Backstein. Dabei habe es zunächst einige Zeit gedauert, bis man hinsichtlich der Brennkunst eine gewisse Perfektion erreicht habe, so der Mainzer Wissenschaftler. Schwarz verkohlte Exemplare hätten vielerorts mit roter Farbe übertüncht werden müssen. Die Farbe Rot habe den Erfolg symbolisiert. Bald sei der Backstein im Ostseeraum nicht mehr wegzudenken gewesen, fügte Müller hinzu, wobei das Baumaterial Backstein durchaus nicht nur dem deutschen Nordosten vorbehalten gewesen sei – Beispiel Stadtkirche Ingolstadt. Dabei habe die einst mittelalterliche Ordensburg und spätere preußische Marienburg am Nogat vielen anderen Backsteinbauten mit ihren Türmchen und anderen gotischen Merkmalen als Vorbild gedient.
Caspar David Friedrichs optimistische Haltung in Bezug auf eine Erneuerung des Deutschen Reichs – getragen aus der Perspektive Luthers, dass es sich bei der eigenen Existenz um eine schuldbeladene handelt, die nur auf die Gnade Gottes hoffen kann –, sei durch die Politik Metternichs, die Zeit der Restauration, die eine größere Hinwendung zu mehr demokratischen Strukturen verwarf, schließlich in Resignation übergegangen, die künstlerisch bei ihm seinen Ausdruck in so zerstörend wirkenden Werken wie „Brennendes Neubrandenburg“ gefunden hätten.
Bericht und Bild entnommen aus der Siegener Zeitung