Veranstaltung Dr. Ruoff - Herder Bibliothek

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Dem Osten zugewandt....
Vortrag von Herrn Dr.Ruoff                                                                                                                            
Sensibler Blick zurück
Siegen  Die Gründung des Deutschen Reiches und die Folgen für Ostmitteleuropa
Dr. Manuel Ruoff referierte zum dritten Mal in der Herder-Bibliothek.

Rö ■  Man könnte durchaus die Frage stellen, wozu sich noch heutzutage mit dem Thema „Die Gründung des Deutschen Reiches und die Folgen für Ostmitteleuropa“ beschäftigen? Alles längst Schnee von gestern in Anbetracht des Vertrags von Maastricht vom 7. Februar 1992, dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Union. Wen interessieren da noch der Deutsch-Dänische Krieg, jener militärische Konflikt zwischen Preußen und Österreich um Schleswig-Holstein im Jahr 1864? Der Krieg, den spätere Historiker als den ersten der drei deutschen Einigungskriege werteten.

Dr. Manuel Ruoff, Redakteur bei der Preußischen Allgemeinen Zeitung (Geschichte und Landeskunde), und zum dritten Mal Referent bei der Siegener Herder-Bibliothek, hält derartige Schlussfolgerungen für zu oberflächlich. Und so ging er gleich zu Beginn seines Fachvortrags kurz auf die jüngsten Wahlen in Deutschland und in Österreich ein. Wenn er sich auch einer Wertung der beiden Wahlergebnisse enthielt, so ließ er doch erkennen, dass vor allem das Resultat in der Alpenrepublik nicht ohne historische Aspekte zu betrachten sei.

Ohne das konfliktträchtige Thema „Zuwanderung“ direkt zu benennen, ließ er das Stichwort „Visegrád-Staaten“ (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) fallen. Jene ostmitteleuropäischen Staaten, die einst (außer Polen) zusammen mit Österreich und weiteren Volksgruppen das mächtige Habsburger Reich bildeten – die sogenannte „K. und K.-Monarchie“ (österreichisch-ungarische Monarchie). Deshalbsei es für ihn spannend, welche Europapolitik der zukünftige österreichische Kanzler Sebastian Kurz anstreben werde – ob er zukünftig eventuell doch noch mehr auf die Vertreter der Visegrád-Staaten zugehen wird?

Damit leitete Ruoff auf die zentraleuropäische Situation in den Jahren vor der Gründung des Deutschen Reichs 1871 über. Ein für ihn keineswegs unnötiger Blick zurück, da sich seiner Auffassung nach bei genauerer Beschäftigung mit dieser nicht zuletzt auch wichtige Hinweise auf unterschiedliche Befindlichkeiten in den jeweiligen Staaten finden ließen, die bis heute ihre Spuren hinterlassen hätten.

Alsdann stellte er folgende These auf: „Nach der Neuordnung Europas nach den napoleonischen Kriegen fiel auf dem Wiener Kongress eine wichtige Vorentscheidung. Preußen wuchs in Deutschland hinein, während Österreich aus Deutschland herauswuchs.“

Angefangen hat diese Entwicklung seiner Meinung nach mit dem Frieden von Tilsit 1806, als der preußische König kein Interesse mehr an verlorenen polnischen Gebieten gezeigt habe. Stattdessen habe er mit Sachsen entschädigt werden wollen. Dabei sei er sich mit dem russischen Zaren darin einig gewesen, dass der damalige König von Sachsen und zugleich Großherzog von Warschau alle seine Rechte verloren habe, weil er bis zum Schluss, bis zu seiner Gefangennahme nach der Völkerschlacht bei Leipzig, zu Napoleon gehalten habe. Keine schönen Aussichten für Österreich, dass der traditionelle Verbündete Sachsen nun preußisch werden sollte, so der Hamburger Referent. Metternich ließ sich laut Ruoff nur deshalb darauf ein, weil der preußische Staatskanzler Hardenberg zugesichert habe, dazu beizutragen, ein russisches Polen zu verhindern.

Doch letztlich führte der Wiener Kongress von 1815 zu anderen Entscheidungen: Preußen erhielt nur einen Teil Sachsens, stattdessen überließ man ihm eine relativ große Exklave in Westdeutschland, die späteren Rheinprovinzen. Somit wurde Preußen ebenso wie Bayern zum direkten Nachbarn Frankreichs.

„Die so entstandene „Wacht am Rhein“ belastete – wie vom österreichischen Staatsmann Metternich geplant – das preußisch-französische Verhältnis“, so der Referent. Gleichzeitig habe dieser neue preußische Besitzstand aber auch der deutschen Nationalbewegung einen Schub gegeben, erklärte der Historiker ergänzend: „Aus der traditionellen ostelbischen Ostmacht war nun ein gesamtdeutscher Staat geworden, der fast von der Maas bis an die Memel, von der französischen Grenze im Westen bis zur russischen im Osten reichte.“ Zusätzlich sei Preußen damit das industrielle Herz Deutschlands, das Ruhrgebiet, zugefallen (ebenso wie das zuvor zum Herzogtum Berg gehörende Siegerland mit seinen Eisenerzvorkommen).

„Im Gegensatz dazu wuchs Österreich seit dem Wiener Kongress aus Deutschland heraus, und das sowohl mental als auch geografisch“, so Rouff. Erstens durch den Verzicht auf die römisch-deutsche Kaiserkrone und zweitens auf den Verzicht sowohl Vorderösterreichs (seine ehemaligen Besitzungen westlich von Tirol und Bayern) als auch seine ehemaligen niederländischen Besitzungen (in etwa dem heutigen Belgien entsprechend).

Damit hätten sich, so der Referent, zugleich drei Modelle hinsichtlich der Lösung der deutschen Frage angeboten: 1. Großösterreich (den österreichischen Vielvölkerstaat, ergänzt um die anderen deutschen Staaten). 2. Ein großdeutscher Nationalstaat unter Einschluss nur der deutschen Teile Österreichs (was eine Teilung Österreichs bedeutet hätte). 3. Der kleindeutsche Nationalstaat ohne Österreich (in dem Preußen als quasi einzig verbliebener Großmacht die Führung zufiel).
„Letzteres Modell favorisierte nach schwerem Ringen das Frankfurter Paulskirchenparlament. Doch der preußische König lehnte die Kaiserkrone ab, womit auch die 1848er Revolution gescheitert war“, so das Resümee des Vortragenden. Friedrich Wilhelm IV. kleindeutsche Lösung ohne die seinerzeitigen Revolutionäre habe alsbald sein Ende in der sogenannten Olmützer Punktion gefunden (ein diplomatisches Abkommen zwischen Preußen, Österreich und Russland). Fortan akzeptierten laut dem Hamburger Experten die Preußen keinen Führungsanspruch Österreichs in Deutschland, und die Konflikte nahmen ihren Lauf, die schließlich im Deutschen Krieg von 1866 gipfelten.

Ruoff nahm sie dann noch einmal kenntnisreich auseinander, jene vier Jahre bis 1870, dem Beginn des Deutsch-Französischen Krieges: sowohl auf die verschiedenen innerstaatlichen Entwicklungen im Deutschen Bund, dem Vorläufer des 2. Deutschen Reichs, und in der Donaumonarchie (industrielle Entwicklung, Ausbau des Schienennetzes, militärische Neuerungen usw.), als auch auf die verschiedenen europäischen Allianzen und Fehlinterpretationen wie die „Emser Depesche“, der Auslöserin des Deutsch-Französischen Krieges.


Bericht und Bild entnommen aus der Siegener Zeitung

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