Dem Osten zugewandt....
Vortrag von Herrn Börner
Die Deutschen und ihr Nationalgefühl
„Der Teutsche hängt nicht so sehr an seinem Vaterlande“ / Peter Börner zu Gast in der Herder-Bibliothek
rö. Einst sprach man im viktorianischen Zeitalter von der feinen Leinenunterwäsche Ihrer Königlichen Majestät nur ganz verschämt von dem sogenannten „Unaussprechlichen“. Heutzutage sind hierzulande nicht wenige der Meinung, dass es sich mittlerweile bei allem, was irgendwie den Begriff „national“ betrifft, ebenfalls schon mehr oder weniger nur noch um etwas Unaussprechliches handelt, das man bestenfalls überhaupt noch nur hinter vorgehaltener Hand aussprechen sollte. Klar, zwölf Jahre Nationalsozialismus samt Krieg von deutschem Boden aus und die massenhafte Ermordung von Juden sind auf den ersten Blick wahrlich Gründe genug, um in Deutschland jeglichen Gedanken an Nationales für immer Einhalt zu gebieten.
Aufmerksamkeit und Anerkennung finden daher seit knapp 50 Jahren im bundesrepublikanischen Deutschland in erster Linie nur solche Historiker und Politologen, die in ihrer wissenschaftlichen Forschung stringent auf genügend Abstand zu diesem vermeintlich Unaussprechlichen geachtet haben. Andernfalls besteht seither immer die Gefahr, nur allzu schnell in den „rechtsradikalen Orkus“ verbannt zu werden.
Doch diese Art von intellektuellem Automatismus hat Folgen – verengt er doch seitdem alles, was Deutschland, die Deutschen und ihr Nationalgefühl anbelangt, auf dessen schlimmste Deformierung: auf Hitlers menschenverachtenden Nationalsozialismus. Doch dabei wird von vielen übersehen, dass sich auch im deutschsprachigen Raum etwa seit der Zeit Karls des Großen, also ab ca. 800 n. Chr., lediglich erste ähnliche Nationalgefühle wie auch anderswo im europäischen Raum entwickelten. Basis dafür war zweifelsohne die beginnende Ausformung einer deutschen Sprache als solche.
Wie dies im Einzelnen geschah, darüber gab jetzt Studiendirektor i. R. und seit dem Jahr 2000 Vorsitzender der Bundesheimatgruppe Bunzlau zu Siegburg, Peter Börner (Studium der Germanistik, kath. Theologie, Philosophie und Pädagogik in Bonn und Freiburg im Breisgau), im Rahmen seines Herder-Bibliothek-Vortrags „Die Deutschen und ihr Nationalgefühl. Eine Entdeckungsreise“ in der Weidenauer Bismarckhalle vor gut 60 Zuhörern Auskunft.
So erging beispielsweise bereits im Jahr 813 an alle Priester die Aufforderung, volkssprachige Predigten abzuhalten, also je nach Landstrich entweder in „rustica romana lingua“ (in gallo-romanischer Sprache) oder in „theotisca lingua“ (in deutscher Sprache). Demzufolge existierten schon bald sowohl eine Vaterunser- als auch eine Glaubensbekenntnis-Übersetzung ins Althochdeutsche, damit auch das einfache Volk diese zur Verfestigung des christlichen Glaubens auswendig lernen konnte.
„Doch ab wann wussten die Deutschen, dass sie Deutsche waren? Und waren sie vielleicht sogar ,stolz’ darauf? Und seit wann bezeichneten sie das Land, in dem sie lebten, als ,deutsches Land’?“ Als Antwort verwies Börner auf die Bedeutung des Siegburger Annoliedes (ca. 1080) und auf die mittelhochdeutsche Kaiserchronik (um 1150). In beiden Zeitdokumenten befinden sich erstmals Ausdrücke wie „diutischemi lande, diutischin sprechhin und diutschi man“ sowie „in Dûtiscem rîche wâren“. Seiner Meinung nach stellt das Annolied gewissermaßen sogar die Geburtsurkunde der deutschen Sprache als solche dar. Eine Sprache, die andere – wie der provenzalische Troubadour Peire Vidal (1175 bis 1205) – durchaus erst einmal als Hundegebell verspotteten.
„Es war die Zeit zwischen 1500 und 1800, die Zeit der Reflexion, in der sich die Deutschen, vor allem die Mittel- und Oberschicht, ihres Deutschseins wirklich bewusst wurden“, so Börner fortsetzend. Nicht zuletzt durch Martin Luther, der sich neben seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche eben auch durch Appelle wie seine Ermahnung an den „Christlichen Adel deutscher Nation“ von 1520 hervorgetan habe.
Doch sollten noch gut 200 Jahre vergehen, bis dass Schiller und andere Literaten die Bühne betraten, die nach Auffassung Börners Literatur und Sprache zum Leitmotiv einer Nation auf der Suche nach sich selbst machten. Dabei verwies er zur Verdeutlichung auf Schillers Zeitgenossen Johann Gottfried Herder, den Namensgeber der Herder-Bibliothek, der die Sprache als den tiefsten Ausdruck nationaler Wesensart erachtet hatte.
Dagegen würde es heutzutage wohl vor allem viele Anhänger des grün-links-liberalen Lagers erstaunen, wäre ihnen ein Zitat aus Kants Menschenkunde bekannt, was Börner seiner Zuhörerschaft ebenfalls nicht vorenthielt: „...Der Teutsche hängt nicht so sehr an seinem Vaterlande, und das zeigt schon von einem gewissen aufgeklärten Volke. Besonders zeichnen sie sich durch geduldige arbeitsame Gelassenheit aus, schicken sich nicht zu Reformen und lassen sich despotisch beherrschen.“
So zeigte Börners Vortrag anschaulich auf, dass die Entwicklung in Deutschland hin zu Patriotismus und Nationalismus letztlich erst mit den Befreiungskriegen im Gegenzug zu napoleonischer Besatzung an Fahrt aufnahm, deren vorläufiger Höhepunkt am Fußende des Deutsch-Französischen Krieges in der Reichsgründung von 1871 unter der Regie von Otto von Bismarck stattfand. Kurzum: eine Entwicklung, die alles andere als Ausdruck eines Volkes war (wenn es nach vielen heutigen Interpretationen geht), dessen Bürgern ein überzogenes nationalistisches Empfinden quasi bereits mit der Muttermilch eingepflanzt geworden zu sein scheint und somit quasi biologisch implantiert als Hauptursache für die Entstehung des Dritten Reichs.
Bericht und Bild entnommen aus der Siegener Zeitung